[Entscheidung 5/2012; erweitert und aktualisiert am 10.12.2012]
Vor einigen Monaten unternahm ich selbst eine Art Pilgerreise: nach Trier zur Heilig-Rock-Wallfahrt. Meine Aufmerksam galt allerdings nicht in erster Linie dem frommen Kleidungsstück aus Johannes 19. Mein Interesse galt dieser Pilgerin. Der Pilgerin Helena.
Um die Pilgerreise Helenas ranken sich Legenden: Sie, die Heilige Helena und Mutter des Kaisers Konstantin – beide verehrt von den Kirchen – habe im 4. Jahrhundert das Kreuz Jesu gefunden. Wer glaubt heute noch, dass so eine Geschichte wahr sein könnte? Doch in einer Kirche in Rom wird das Fragment einer Holztafel aufbewahrt, das eine seltsame Inschrift trägt. Einige Wissenschaftler sind überzeugt, dass dies die echte Tafel vom Kreuz Christi ist – aus Jerusalem nach Rom gebracht von der Pilgerin Helena. Hat sie vielleicht wirklich das Wahre Kreuz gefunden? Stimmt es, wenn ein israelischer Schriftsteller schreibt, »sie sei die erfolgreichste Archäologin der gesamten Menschheitsgeschichte gewesen«? (1)
Doch diese Reise Helenas war nur der Höhepunkt einer großen Geschichte: Unter der Herrschaft ihres Sohnes Konstantin, der sich als römischer Kaiser zum Glauben an Jesus Christus bekehrt hatte, breitete ich der christliche Glaube im Römischen Reich aus wie nie zuvor. Für das Christentum Europas hatte er sicherlich eine ähnlich große Bedeutung wie vor ihm nur der Apostel Paulus. Die Geschichte von Konstantin dem Großen und seiner Mutter Helena ist eine außergewöhnliche Geschichte, eine wichtige Geschichte. Aber auch eine Geschichte voller Dramatik und Spannung, voller Höhen und Tiefen. Auf jeden Fall eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden!
Helena wurde ungefähr im Jahr 250 nach Christus geboren, wahrscheinlich in Drepanon in der heutigen Türkei. Später wurde die Stadt ihr zu Ehren in »Helenopolis« umbenannt. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen, lernte dann aber einen römischen Offizier namens Constantius kennen. Die Liebe der beiden stand unter ungünstigen Vorzeichen, denn Helena war ein einfaches Mädchen, und er war als Offizier zu Höherem berufen: Später heiratete er Theodora, die Tochter des Kaisers Maximian. Bis dahin währte die Beziehung fast 20 Jahre – und Constantius hatte Helena einen Sohn geschenkt, den sie nach ihm benannte: Konstantin.
Dann gab es für die Verlassene eine lange Zeit der Trennung von ihrem Sohn. Er wuchs am Hofe auf, wurde Soldat, Offizier, schließlich Kaiser. Erst, als sein Vater gestorben und er selbst Kaiser geworden war, holte er sie wieder zu sich zurück – nach Trier. Und vertraute ihr wahrscheinlich das an, wovon er inzwischen tief überzeugt war: Seinen Glauben an Jesus Christus, der nun auch ihr Glaube werden sollte.
Von 306 bis 312 residierte Konstantin in Trier, wo zuvor sein Vater war. Auch Helena lebte hier bei Hof, bevor sie 313 oder später nach Rom umzog. Beide kamen immer wieder zurück in die Stadt. Eine besonders starke Verbindung zu Helena hat der Stadtteil Euren. Der Helenenbrunnen, soll damals die römische Villa, in der Helena wohnte, über große bleierne Röhren mit Quellwasser versorgt haben. Wo einst diese Villa gestanden hat, befindet sich heute die Kirche St. Helena.
Unter Kaiser Konstantin kehrte das Römische Reich noch einmal zurück zur Einheit und zu altem Glanz. Der Glanz, den das Reich einst unter Julius Cäsar, Kaiser Augustus oder Hadrian ausgestrahlt hatte. Der Glanz, in dem sich Rom als Weltreich sonnte.
Rom war 753 v.Chr. gegründet worden und beherrschte auf dem Höhepunkt seiner Macht – unter Kaiser Trajan im Jahr 117 n.Chr. – eine Fläche, auf der heute mehr als 25 Staaten liegen. Süd- und Mitteleuropa, bis hinauf nach Britannien, dazu Nordafrika, Ägypten, Kleinasien, Mesopotamien und das Heilige Land. Dies alles war Rom.
In der Zeit vor Konstanin jedoch war das politische System durch Bürgerkriege und Angriffe fremder Völker zusammengebrochen. Um das Jahr 300 n.Chr. gab es eine Viererherrschaft, in der zwei Kaiser mit je einem »Unterkaiser« den östlichen und westlichen Teil des Reiches regierten. Konstantin der Große vereinte die Macht wieder auf einen Kaiser – sich selbst – und besiegte seine Kontrahenten. Das Reich war vom Atlantik bis zum Euphrat wieder vereint.
Die Zeit des Neuen Testaments war noch nicht einmal 300 Jahre her: Die Ereignisse, die wir aus den Evangelien und aus den Briefen der Apostel kennen, spielten sich im Römischen Reich ab. Die Geburt Jesu Christi während der Volkszählung unter Kaiser Augustus; Jesu Leiden und Tod unter dem Statthalter Pontius Pilatus; die Zerstörung Jerusalem unter Titus, die Verfolgung der Christen unter Nero.
Sie, die Römer, hatten den Heiland gekreuzigt! Sie hatten ihn ans Kreuz geschlagen, an dieses grausame Todesinstrument, das eine der Kehrseiten des römischen Glanzes zeigt. Sie hatten Jesus getötet, Juden und später die Christen verfolgt und umgebracht – den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Sind die Römer schuld am Tod Christi? Oder die Juden? Ja. Und nein: Im Grunde ist es die Sünde aller Menschen, die Jesus umgebracht hat. Diese Sünde hat er mit ans Kreuz genommen und durch seine Auferstehung besiegt! Gott hat seinen geliebten Sohn für uns geopfert, um uns eine Verbindung mit ihm zu ermöglichen. Eine Verbindung, die wir durch die Ausübung von Religion und der Erfüllung von Gesetzen nicht herstellen können. Nur durch Gottes Gnade und den Glauben an Jesus Christus.
Die Religion der Römer war vor der Zeit Konstantin heidnisch: Sie glaubten an Jupiter, Mars, Minerva, Venus und die ganze Götterwelt, an die auch schon die alten Griechen und die Babylonier geglaubt hatten – nur unter anderen Namen. Nach manchen von diesen Göttern sind die Planeten unseres Sonnensystems benannt. Es war ein Heidentum, das den wahren Gott vergessen hatte. Jenen Gott, der in der Apostelgeschichte als »unbekannter Gott« erwähnt wird. »Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.« (1)
Zu Beginn von Konstantins Herrschaft waren ungefähr ein Zehntel der Menschen im Römischen Reich Christen. Es wäre nicht besonders klug von Konstantin gewesen, den Glauben einer Minderheit anzunehmen, um seine Macht zu festigen. Im Gegenteil zeigt diese Tatsache, dass er sich aus freien Stücken und aus eigener Überzeugung zu Jesus Christus bekehrt hat.
Der entscheidende Moment in Konstantins Leben war eine Vision in einem Traum, in der ihm das Zeichen Christi erschienen ist und er – von Jesus Christus! – die Anweisung gehört hat: »In diesem Zeichen siege!« Er ließ seine Rüstung und die seiner Soldaten mit dem Zeichen Christusmonogramm »Chi-Rho« versehen und erlangte einen ruhmreichen und entscheidenden Sieg an der Milvischen Brücke. Es war für ihn und für viele andere der Beweis, dass der christliche Gott, Jesus Christus, hinter ihm stand und sehr mächtig war.
Doch war es wirklich ein Sprechen Gottes? Hat Jesus gewollt, dass in dieser Schlacht viele Menschen sterben? Viele Christen haben heute verständlicherweise Schwierigkeiten damit, wenn Glaube, Staat und militärische Macht so eng miteinander verknüpft auftreten.
Und doch gibt es erstaunliche Parallelen in der Bibel: Immer wieder lässt Gott das Sterben vieler Menschen zu. Als Gottes Volk Israel zum Beispiel das gelobte Land Kanaan einnahm, starben zahlreiche Feinde. Oder König David: ein Mann nach Gottes Herzen (1. Samuel 13,14) und trotzdem ein großer Krieger und Feldherr, der blutige Schlachten kämpfte.
Mit Konstantin war ein Herrscher Christ geworden! Welche Wende für das Römische Reich! Welche Chance für das Christentum! Konstantin vertrat seinen neuen Glauben mit voller Überzeugung und eröffnete dem christlichen Glauben neue Möglichkeiten. Die noch vor kurzem verfolgten Gläubigen konnten nun Einfluss ausüben, Kirchen bauen und ihren Glauben frei weitersagen. Konstantin ließ den Heiden noch viele Freiheiten, denn das Christentum sollte nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Aber er unterstützte die Kirche, predigte sogar selbst und ging hart gegen Irrlehren vor.
Doch wie groß waren auch die Herausforderungen: Demut und Sanftmut scheinen nicht gerade die leichtesten Übungen für einen Politiker und mächtigen Herrscher zu sein! Wie schwer ist es manchmal, Macht und Glauben miteinander zu vereinbaren. Als sein Sohn Crispus – den Großmutter Helena sehr liebte – seine Herrschaft bedrohte, ließ er ihn hinrichten! Danach ließ er sogar seine eigene Frau Fausta umbringen und die »heilige« Helena hat ihn höchstwahrscheinlich dabei unterstützt. Ist es das Schicksal der Mächtigen, auch manchmal schweres Unrecht auf sich laden zu müssen? Oder ist es die Sünde der Menschen, die tief in jedem von uns steckt?
Was für eine Frau war Helena? War sie eine machthungrige Politikerin, die auch nicht davor zurückschreckte, Konkurrenten und Gegner auszuschalten, die ihre und Konstantins Macht bedrohten? Oder war sie eine demütige und mildtätige Christin? Wir wissen es nicht genau. Vielleicht war sie beides!
Diese dramatischen Ereignisse innerhalb der Familie mögen der Anlass gewesen sein für die Pilgerreise, die Helena kurz darauf unternommen hat. War es ihr ein ernstes Anliegen, Beweise für die Ereignisse um das Leben und Sterben Jesu zu finden? Reiste sie aus politischen Gründen in das Heilige Land, das für den nun so wichtig gewordenen christlichen Glauben von zentraler Bedeutung war? So würde dort die Christengemeinden unterstützen können und den Baufortschritt kaiserlicher Gebäude beaufsichtigen. Oder wollte sie Buße tun für die Verbrechen in der eigenen Familie? Ein britischer Schriftsteller schrieb über Helenas Ankunft in Jerusalem: »Sie war ein goldener Mythos. Man erwartete eine sehr alte, sehr verschwenderische und, wie man hoffte, liebenswürdige Person. Statt dessen kam eine Verrückte, da schlimmer noch, eine Heilige. Man war auf Wünsche nach besonderen Leckereien und nach kostbaren Möbeln gefasst. Helena wünschte etwas ganz anderes: sie wünschte das echte Kreuz.« (2)
Die Reise nach Jerusalem war nicht die erste Pilgerreise, schon etliche vor ihr hatten den Wunsch in die Tat umgesetzt: die Stätten zu sehen, an denen Jesus gewirkt hatte. Doch die meisten dieser Stätten waren in der Zeit des Heidentums und der Christenverfolgung mit Tempeln überbaut worden. Die Römer hatten Juden und Christen aus Jerusalem vertrieben – diejenigen, denen die Stadt heilig war!
Helenas Reise war eine große Unternehmung, der kaiserlicher Tross reiste mit ihr. Und doch war es eine wertvolle, eine zutiefst geistliche Reise. Die Kaiserin unterstützte die Kirchen in allen Provinzen auf ihrem Weg und half den Armen. Als sie in Jerusalem ankam, werden sie die Gefühle überwältigt haben, wie dies auch heute noch ein Gläubiger erlebt, der zum ersten Mal die Stadt Gottes sieht! Jerusalem – was war Rom gegen diese Stadt?
Würde sie das Kreuz finden? Das Kreuz an dem Jesus Christus sein Leben für unsere Sünden ließ? Nach drei Jahrhunderten! Und doch scheint die Hoffnung nicht unbegründet: Die Finsternis und das Erdbeben nach der Kreuzigung, das Zeugnis des römischen Hauptmanns: »Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!« (3) Dann die Auferstehung und die Aufregung danach. Könnte es nicht sein, dass auf Golgatha vorerst keine weiteren Menschen gekreuzigt wurden?
Es war den Christen die ganze Zeit über noch bekannt, wo sich das Grab befand und auch der Hügel Golgatha. Kaiser Hadrian hatte darüber einen Venus-Tempel bauen lassen, um die Gläubigen an der Verehrung der Heiligen Stätten zu hindern. Nun hatte Helenas Sohn Konstantin veranlasst, dass die heidnischen Götzentempel abgerissen wurden und über dem Grab und über der Kreuzigungsstätte eine Kirche gebaut werden sollte.
Nach unnachgiebigem Fragen der Bewohner Jerusalems und einem sonderbaren Traum hat Helena – so könnte man es sich vorstellen – in den Ruinen der abgerissenen Gebäude, im Schutt der großen Kirchenbaustelle, eine alte Zisterne entdeckt. Dort, in der hintersten Ecke, befanden sich mehrere Holzbalken. Sie konnten zu drei Kreuzen zusammengesetzt werden. Eine Holztafel, die lose dabeilag, trug die Inschrift, die uns in den Evangelien überliefert ist: »Jesus aus Nazareth, König der Juden« – in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. Das Kreuz Jesu musste also eines dieser Kreuze sein! Sie bat Gott um ein weiteres Wunder: Durch die Heilung einer kranken Frau zeigte sich, welches das Wahre Kreuz gewesen ist.
Einige Stücke überließ sie dem Bischof von Jerusalem, Teile der Balken und die Nägel, mit denen die Hände und Füße unseres Retters an das Kreuz geheftet waren, schickte Helena zu ihrem Sohn, der inzwischen in Konstantinopel – dem heutigen Istanbul – residierte. Er integrierte die Nägel als Zeichen seines Glaubens in seine Rüstung und in sein Zaumzeug. Und als Zeichen dafür, dass er nun den Frieden verbreiten würde und keinen Krieg mehr führen wollte. Dies würde verdeutlichen, was in Sacharja 14,20 geschrieben steht: »Zu der Zeit wird auf den Schellen der Rosse stehen ›Heilig dem HERRN‹.«
War dies aber nicht schon der Beginn einer falschen Verehrung von Zeichen und Gegenständen? Nicht die Nägel, nicht das »Chi-Rho«, nicht die Splitter vom Kreuz sollten verehrt und angebetet werden, sondern Gott, der durch sie wirkte. So wie er es in biblischer Zeit durch die Bundeslade tat. Aber die Menschen lassen sich leicht verleiten, aus heiligen Menschen und Gegenständen Götzen zu machen, und den wahren Gott darüber zu vergessen. Den Gott, der Menschen und Gegenstände gebrauchen kann.
Einen weiteren Nagel, ein Fragment der Tafel und einen Teil des Wahren Kreuzes nahm die Pilgerin Helena nach Rom. Dort steht noch heute eine Kirche, die gebaut wurde, um an das Heilige Kreuz von Jerusalem zu erinnern. In der »Santa Croce in Gerusalemme« können die von Helena mitgebrachten Gegenstände von der Kreuzigung besichtigt werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass einige – nicht alle – dieser Gegenstände echt sind.
Der Heilige Rock, der in Trier verehrt wird, ist erst in jüngeren Quellen überliefert. Die wenigen Überreste aus antiker Zeit, die in eine große Tunika aus dem Mittelalter eingewebt wurden, lassen sich natürlich nicht zweifelsfrei Jesus zuordnen. Allgemein ist es bei Gegenständen, die aus gewöhnlichem Holz, Stoff oder einem anderen Material stammen schwierig, ihre genaue Herkunft zu bestimmen.
Die Tafel allerdings, die ja eine Inschrift trägt, wurde von Forschern wie Carsten Peter Thiede sehr genau untersucht. Vieles spricht aufgrund der erhaltenen Buchstaben dafür, dass sie authentisch ist. Die Art des Schreibens passt in die Zeit Jesu. Dem Schreiber ist ein bemerkenswerter Fehler unterlaufen: Er hat die lateinische und griechische Zeile – ebenso wie die hebräische – von rechts nach links geschrieben! Es ist unwahrschenlich, dass dies einem Fälscher passiert wäre, der sich an den Evangelien orientiert hätte. Ein belgischer Kirchenhistoriker schrieb augenzwinkernd: »Nicht jede zweifelsfrei echte Reliquie muss eine Fälschung sein.« (4)
Vielleicht darf man Helena tatsächlich als Archäologin verstehen, die nach Funden für die Glaubwürdigkeit der Bibel suchte, wie dies ihre »Kollegen« auch heute noch tun. Ausgrabungsfunde haben die Bibel immer wieder bestätigt: Inschriften mit Namen aus der Bibel, Ruinen von Orten, die längst vergessen waren. Archäologische Zeugnisse aus der Zeit der Apostel, der Propheten und der Könige. Es gibt viele spektakuläre Funde, die unsere Vertrauen an die Worte der Bibel bestätigen. Die Bibel ist kein Märchenbuch, was darin steht ist wahr.
Viele skeptische Menschen – auch Christen – zweifeln an der Bibel und können dies scheinbar gut begründen. Aber nicht wenige Wissenschaftler sind überzeugt: Die Erkenntnisse der Forschung bestätigen die Bibel und belegen auch, dass Jesus am Kreuz gestorben und auferstanden ist. Auf historische Beweise und Augenzeugen hat schon Paulus hingewiesen: »Danach ist er [der auferstandene Jesus] gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben« (5). Er setzt die historische Tatsache der Auferstehung voraus: »Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.« (6)
Wenn die historischen Aussagen der Bibel war sind, können wir darauf vertrauen, dass wir auch die Verheißungen für unser Leben selbstbewusst und bedingungslos annehmen können: »Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.« (7)
Aber eine – oder auch mehrere – wahrscheinlich echte Reliquie wie die Tafel vom Kreuz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich daneben bald ein regelrechter Handel mit unechten Kreuzessplittern, Apostelfingern und anderen vermeintlich heiligen Gegenständen ausgebreitet hat, was Martin Luther später zurecht verurteilt hat. Die Verehrung galt meist den Reliquien und auch die Wunderwirkung wurde ihnen zugesprochen – und nicht Gott.
Und doch bleibt die Erinnerung an Helena: an eine eindrucksvolle Frau, die zwar keine unfehlbare Heilige war, aber doch eine herausragende Christin. Sie hat Hinweise auf die historische Wahrheit der biblischen Überlieferung gesucht – und allem Anschein nach auch gefunden! Helena und ihr Sohn Konstantin waren Persönlichkeiten, durch die Gott mit all ihren Stärken und trotz all ihrer Schwächen sein Werk vorangebracht hat: Sie haben Kirchen gebaut und das Evangelium im Römischen Reich verbreitet wie nie zuvor. Einige Jahrzehnte später ist das Christentum zur Staatsreligion geworden und so wurde die Grundlage gelegt für ein christlich geprägtes Europa.
Neben all dem Guten, das von der Kirche ausging, konnte es nicht ausbleiben, dass sich die christlichen Machthaber teilweise weit vom Willen Gottes entfernten. Immer wieder mussten Menschen – wie der Reformator Martin Luther – ganz neu die Bibel ins Zentrum des Glaubens rücken. Wir erkennen Höhen und Tiefen, wenn wir in die Kirchengeschichte blicken: Gottes Wirken und menschliches Versagen. Aber es ist unsere Geschichte, die Geschichte der Christen. Gott hat sie durch Menschen geschrieben. In allen Epochen hat Gott gewirkt durch Menschen voller Fehler und Schuld – auch die Bibel berichtet davon. »Diese haben durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit geübt, Verheißungen erlangt, Löwen den Rachen gestopft, des Feuers Kraft ausgelöscht, sind der Schärfe des Schwerts entronnen, aus der Schwachheit zu Kräften gekommen, sind stark geworden im Kampf und haben fremde Heere in die Flucht geschlagen.« (8)
Eines ist ganz sicher: Am wahren Kreuz ist Jesus gestorben. Drei Tage später war sein Grab leer. Er ist auferstanden, hat den Tod besiegt und kann dadurch jedem Menschen die Schuld vergeben, die ihn von Gott trennt. Gott möchte auch heute mit fehlerhaften Gläubigen seine Geschichte weiterschreiben – und sein Reich unter den Menschen größer werden lassen.
Ein Fazit der Trier-Wallfahrt: Menschen pilgern zu heiligen Gegenstände – ein durchaus eindrückliches und erbauendes Erlebnis. Skeptischer jedoch bleiben unberührt, so meinte der jüdische Journalist Michel Friedman: »Nachdem alle sagen, dass das Hemd nicht das Hemd ist, bin ich fasziniert davon, was die Phantasie der Menschen und ihre Sehnsucht nach dem Mystischen für eine Kraft entwickeln können«.
Mein Glaube aber möchte sich nicht an einer Phantasie festmachen. Was der Rock nicht bieten kann, können die anderen Helena zugeschriebenen Funde sehr viel eher bieten: Die Erkenntnis, dass etwas Wahres dahintersteckt. Vielleicht sehr viel mehr, als die meisten Menschen heute ahnen. Ob der Rock als Objekt der Verehrung echt war ist tatsächlich zweifelhaft. Und doch lockte das »ungeteilte Gewand Jesu« 500.000 Pilger in die älteste Stadt Deutschlands. Auch die evangelischen Kirchen ließen sich teilweise mit einbinden unter dem Motto: »… und führe zusammen, was getrennt ist«. Die Nahtlosigkeit des Heiligen Gewands als Symbol dafür, dass auch die Christenheit nicht von Nähten getrennt sein sollen. Für die Veranstalter ist die Echtheit des Heiligen Rockes nicht von besonders großer Bedeutung. Erfreulicherweise solle auch nicht das Kleidungsstück verehrt werden, sondern Jesus Christus. Ob dies vom Volk so gesehen wird und ob das ökumenische Projekt unterm Strich gelungen ist, steht auf einem anderen Blatt.
Für mich selbst hat sich die Reise gelohnt: Sie führte mich auf die Spur einer faszinierenden, fast vergessenen Frau, die einen großen Einfluss auf das europäische Christentum hatte, und die vielleicht tatsächlich die »erfolgreichste Archäologin der gesamten Menschheitsgeschichte gewesen« ist. Es lohnt sich, diese Pilgerin Helena wieder ein Stück bekannter zu machen!
(1) Apostelgeschichte 17,22–24
(2) Evelyn Waugh: Helena, S. 169
(3) Lukas23,47
(4) 4 Hippolyte Delehaye, zitiert in: Carsten Peter Thiede: »Das Jesus-Fragment«, S. 9
(5) 1. Korinther 15,16
(6) 1. Korinther 15,14
(7) 1. Korinther 1,18
(8) Hebräer 11,33–34