Unvergängliche Schriftzeichen

Die Bibelkritik ignoriert archäologische Erkenntnisse und frühe Keilschriften, die ein Indiz dafür sind, dass die Bibel von Anfang an schriftlich überliefert wurde.

von Timo Roller, 2.2.2018

Überarbeitete und etwas erweiterte Fassung eines im Factum-Magazin 2/2017 erschienenen Artikels.

Es war ein spannendes Experiment, das die Royal Asiatic Society im Jahr 1857 in London durchführte. Vier namhafte Forscher nahmen daran teil: Jeder von ihnen erhielt einen versiegelten Umschlag mit der Abschrift eines erst kurz zuvor ausgegrabenen assyrischen Militärberichts. Henry Creswicke Rawlinson, Edward Hincks, Jules Oppert und Henry Fox Talbot sollten unabhängig voneinander diesen Keilschrifttext übersetzen und damit belegen, ob die Entschlüsselung der alten Sprachen als gesichert gelten konnte.

Zigtausende von Keilschrifttafeln wurden im 19. Jahrhundert in Mesopotamien gefunden. Zunächst konnte niemand sie lesen, einige Wissenschaftler überlegten sogar, ob es nur eine orientalische Dekorationsform sei.

Keilschriftdokumente zeigen, dass die biblischen Texte verlässliche historische Zeugnisse sind: Die berühmte Tafel XI des Gilgamesch-Epos enthält die babylonische Version der Sintflutgeschichte.

Vergessen war seit nahezu 2000 Jahren diese Schreibweise, mit der ungefähr 30 Jahrhunderte lang die Menschen in Mesopotamien Wichtiges und Banales festgehalten hatten, indem sie mit einem Griffel Keile in Tontäfelchen gedrückt hatten: In teilweise komplizierter Grammatik, verschiedenen Sprachen und zur Not auch mit dem Meißel in Fels – Inschriften, die uns bis heute erhalten geblieben sind. Von der Wiege der Zivilisation bei den alten Sumerern über die Großreiche Babyloniens und Assyriens bis hin ins Jahr 75 n.Chr., aus dem der späteste bekannte Keilschrifttext stammt.

Aufgrund einer Wette gelang es dem deutschen Sprachwissenschaftler Georg Friedrich Grotefend bereits 1802 als Erstem, die Eigennamen dreier Könige auf einer altpersischen Inschrift zu entschlüsseln. Mehr konnte er der Keilschrift allerdings nicht entlocken und so war es der Brite Henry Rawlinson, der 1835 unter Lebensgefahr eine Felsinschrift in Behistun im Westen des Iran abschreiben konnte und mit ihrer Hilfe die Entzifferung der Keilschrift maßgeblich voranbrachte. Die Inschriften des Perserkönigs Darius waren dreisprachig in den Sprachen Altpersisch, Elamisch und Babylonisch verfasst. Was der berühmte Stein von Rosetta für die Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen war, bedeutete die Behistun-Inschrift für die Keilschrift.

Mitte des 19. Jahrhunderts gelang die Entschlüsselung der Behistun-Inschrift – sie verweist auf die Bibel.

Die ersten Wörter, die man der geheimnisvollen Schrift entlockte, waren also die Namen von Königen – Königen aus der Bibel. Die Ausgrabungen in Mesopotamien und die Entzifferung der Keilschrift begannen, ein neues Licht auf die Frühzeit der Menschheit zu werfen, eine Zeit, aus der man neben der Bibel nur ganz spärliche Informationen antiker Geschichtsschreiber hatte. Und nun sollten die Zeitgenossen selber zu Wort kommen, durch in Stein gemeißelte Zeichen, deren Sinn nun wieder entschlüsselt werden konnte. Denn: Ja, das Experiment war erfolgreich. Die vier Forschen hatten ein weitgehend übereinstimmendes Ergebnis abgeliefert. Seit 1857 haben die Experten Zugriff auf jahrtausendealte Informationen.

Dabei waren die Theologen gerade dabei, eine bis heute gebräuchliche Bibelkritik zu etablieren: Die ältesten Kapitel der Bibel waren in ihre angeblichen Einzelteile zerlegt worden: Jahwist, Elohist, Priesterschrift und Ur-Deuteronomium – spätestens Julius Wellhausen (1844 bis 1918) hatte der historischen Glaubwürdigkeit der Mosebücher mit seiner »Neueren Urkundenhypothese« den Boden entzogen. Obwohl viele seiner Schlussfolgerungen heute gar nicht mehr vertreten werden und »sich die Pentateuchforschung in einer geradezu heillosen Verwirrung befindet« (so der Theologe Bernhard Knieß), hält man an der Grundthese fest: Die vorderen Bücher der Bibel seien erst viele Jahrhunderte nach Mose niedergeschrieben worden.

Sie erzählten und erzählten, die Israeliten. Über Jahrhunderte hinweg. Geschichte wurde Mythos und die Wunder immer wunderbarer. So ähnlich steht es in den Schulbüchern, geistert es in den Köpfen von Theologiestudenten – und Professoren. Erst lange Zeit nach den Ereignissen wurden demnach die Erzählungen niedergeschrieben: Ausgeschmückt, unglaubwürdig – und auch dann immer wieder noch neu überarbeitet. So entstand die Hebräische Bibel, das Alte Testament der Christen. Oder?

Die Illussion von der Entwicklung der Menschheit vom primitiven Urmenschen zum zivilisierten Monotheisten hatte sich tief in die Theologie eingeschlichen. Niemals hätte man Abraham und Mose zugetraut, dass sie vor fast 4000 Jahren bereits schreiben konnten. Aber ihre Zeitgenossen – und wohl auch sie selbst – konnten es, das beweisen die archäologischen Erkenntnisse und insbesondere die Keilschrift.

Die alten Kulturen mitsamt ihrer Schreibkunst tauchten sehr plötzlich auf. Menschen konnten schreiben, das Sumerische ist sogar eine sehr komplizierte Sprache mit ausgefeilter Grammatik. Akkadisch ist wiederum völlig andersartig, eine semitische Sprache, mit dem Hebräischen verwandt. Die verschiedenen Sprachstämme kamen aus dem Nichts. Hier bietet die Wissenschaft keine wirkliche Erklärung. Mindestens genauso plausibel wie jede andere Theorie ist die Geschichte der Sprachenverwirrung nach dem Turmbau zu Babel.

Literarische Epen entstanden und große Monumentalbauwerke. Keine langsame und kontinuierliche Entwicklung der Zivilisation aus der Steinzeit heraus. Die großartigen Entdeckungen der Archäologie geschahen ausgerechnet dort, wo die Bibel vom Neubeginn der Menschheit nach der Flut und vom Städtebau und Turmbau zu Babel berichtet. Alles nur Zufall? Oder liefert die Bibel ein stimmigeres Bild der frühen Menschheitsgeschichte als die naturalistische und »gott-los« geprägte Altertumswissenschaft?

Städte der Bibel, Namen von Königen, Zeugnisse zugunsten der Bibel. Ein besonderes Highlight ist die Zeit von Jesaja und Hiskia: Die in der Bibel beschriebenen Ereignisse der Eroberung Judas und Belagerung Jerusalems tauchten in den Annalen der Gegenseite auf: »Wie ein Vogel im Käfig wurde Hiskia eingesperrt.« Ein Beweis, dass Jerusalem nicht eingenommen wurde – die Niederlage in geschönten Worten. Reliefs von der Einnahme der judäischen Stadt Lachisch in Ninive: Ein weiterer Beweis, dass das viel bedeutendere Jerusalem ungeschoren davonkam.

Unbeeindruckt von alldem hielten die Theologen aber an ihren immer komplizierter werdenden Theorien fest - und tun dies bis heute! Anstatt die Thesen der Quellenscheidung mit den Erkenntnissen der Archäologie abzugleichen, besteht das historisch-kritische Bollwerk bis heute und veranlasst umgekehrt die Altertumsforscher, ihre Erkenntnisse mit einer schwammig gewordenen Bibelchronologie zu synchronisieren. Das Ergebnis: Nichts passt zusammen, die Bibel hat nicht recht, sie ist angeblich eine Sammlung von Mythen und Märchen. Die Bibelkritik verfestigte sich und ist immer noch in den Köpfen der meisten Christen – und erst recht der Nichtchristen.

Doch wenn ein Ägyptologe das Buch Exodus liest, erkennt er einen Bericht aus der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. Alles stimmt, alles passt. Nur ein Augenzeuge konnte das niederschreiben, niemals ein jüdischer Priester 1000 Jahre. Mit ein bisschen mehr Zutrauen in die Bibel könnte alles so einfach sein: Forscher wie David Rohl und Peter van der Veen haben nachgewiesen, dass die Ereignisse der Archäologie und der Bibel bestens zusammenpassen, wenn man – notwendige und gut begründbare – Korrekturen an der archäologischen Chronologie vornimmt. Dann wird aus den angeblichen »Keine Posaunen vor Jericho« (so ein Buchtitel) doch eine Zerstörungsschicht, die zur Zeitepoche Josuas passt.

Die Keilschrift verrät darüber hinaus literarische Gepflogenheiten, die der Forscher P.J. Wiseman in der Genesis identifiziert haben will. Anhand einiger auffälliger Wiederholungen und der sogenannten Toledot-Formeln teilt er das erste Mosebuch in eine Sammlung von 11 Keilschrifttafeln und die anschließende Josef-Geschichte ein. Diese Tafeln soll Mose von seinen Vorfahren übernommen haben.

Sein Sohn, der Assyrologie-Professor Donald Wiseman, schreibt 1987 im Vorwort einer Neuauflage des Buches »Die Entstehung der Genesis«: »Mein Vater hat die bisher vorgetragenen Gedanken zum ersten Mal im Jahre 1936 veröffentlicht. Seither ist auf dem Gebiet der archäologischen Forschung natürlich allerhand geschehen. Aber es ist nichts gefunden worden, was seiner Grundthese widerspräche.«

Gegenargumente gibt es allerdings: Warum sollte beispielsweise ausgerechnet Ismael Verfasser der Geschichte Abrahams sein, Isaak aber nur die Nachkommen Ismaels verzeichnet haben? Auch Esau wird ein viel längerer Abschnitt zugesprochen, als seinem Bruder Jakob, über den ja die Segenslinie Israels geht. Möglicherweise ist »Toledot« daher eine Art »Knotenpunkt«, der die Gesamtstruktur der Genesis zusammenhält. Hendrik J. Koorevaar schreibt: »Die Toledot-Formel kann tatsächlich am besten als eine Bindeformel verstanden werden. Wir können es auch Entwicklungsformel oder Wachstumsformel nennen«.

Während die Gelehrten hier also unterschiedlicher Meinung sind, ist eines heute offenkundig: Die Bibel wurde von Anbeginn schriftlich überliefert. Die Bücher sind viel älter, als heute meist angenommen wird. Und es war Mose selbst, der die nach ihm benannten Bücher verfasste (natürlich mit Ausnahme des Kapitels über seinen Tod, das Josua angefügt haben könnte). Der bereits erwähnte Theologe Bernhard Knieß stellt fest, »dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Mose allein die biografischen, literarischen, geistigen und geistlichen Voraussetzungen für seine Autorschaft vereinigt.« Und für Christen »sollte das Zeugnis Jesu entscheidend sein, die mosaische Verfasserschaft des gesamten Pentateuch zu akzeptieren«.

In einer Analyse aus dem Jahr 1997 beklagt Knieß, dass die frühen Bibelkritiker wie Julius Wellhausen (1844–1918) ihre Theorien »ohne die Ergebnisse der Archäologie und Altertumswissenschaft quasi am grünen Tisch aufstellten.« Die aktuelle Forschungslage bezeichnet er als »chaotisch«, da die wissenschaftliche Diskussion »in ein beinahe unüberschaubares Spektrum derzeitiger Hypothesenbildung bis hin zum radikalen Thesenverzicht mündete.«

Wegbereiter der zersetzenden Bibelkritik: Julius Wellhausen (links). Mutiger Schriftforscher: der Brite Henry Rawlinson.

Die ältesten Bücher der Bibel sind nicht ein Sammelsurium alter Mythen, die von babylonischen Legenden übernommen und bereinigt wurden, sondern ein ureigenes geschichtliches Glaubenszeugnis, mit dem und durch das Gott zu seinen Leuten in vergangenen Zeiten gesprochen hat. Funde und Keilschriftdokumente bestätigen dies – und helfen uns möglicherweise sogar, einige zusätzlichen Details über die in der Genesis doch sehr knapp überlieferten Ereignisse herauszufinden. In alten Keilschrifttexten entdecken wir Berichte, die die Bibel bestätigen und das ein oder andere Mal vielleicht sogar ein neues Licht auf die Zeit zwischen Noah und Abraham werfen können.

Die Entzifferung der Inschriften des Perserkönigs Darius auf einem Relief im Westen des Iran war ein Meilenstein der Schriftforschung.

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